Rezension vom Juli 2024
Roman
Erste Buchausgabe 1926
Gelesene Ausgabe: S. Fischer Verlag
Auflage 1967
457 Seiten
In der Fassung von Max Brod, Freund und Nachlassverwalter von Franz Kafka, ist "Das Schloss" in zwanzig Kapitel eingeteilt, wobei das fünfzehnte Kapitel, welches das Schicksal der Familie des Barnabas zum Inhalt hat, in sich selbst in vier Abschnitte gegliedert ist. Worum geht es nun in dem Buch? K. kommt nach angeblich langer Reise durch eine tief verschneite Winterlandschaft in einem ärmlichen Dorf an. Die Dorfbewohner begegnen ihm mit Misstrauen und Distanz, denn nur mit Genehmigung des Schlosses sei ein Aufenthalt im Dorf erlaubt. Obwohl K. der Landvermesser sei, den der Graf des Schlosses habe kommen lassen, scheint im Schloss niemand etwas von ihm zu wissen. K. versucht, nachdem er im Wirtshaus Brückenhof nächtigt, am nächsten Tag zum Schloss zu gelangen. Aus unerfindlichen Gründen kann er sich aber nur nähern, kommt nicht dort an und muss umkehren.
Dort lagen sie, aber nicht so hingegeben wie damals in der Nacht. Sie suchte etwas, und er suchte etwas, wütend, Grimassen schneidend, sich mit dem Kopf einbohrend in der Brust des anderen, suchten sie, und ihre Umarmungen und ihre sich aufwwerfenden Körper machten sie nicht vergessen, sondern erinnerten sie an die Pflicht, zu suchen; wie Hunder verzweifelt im Boden scharren, so scharrten sie an ihren Körpern; und hilflos, enttäuscht, um noch letztes Glück zu holen, fuhren manchmal ihre Zungen breit über des anderen Gesicht. Erst die Müdigkeit liess sie still und einander dankbar werden. Die Mägde kamen dann auch herauf. "Sieh, wie die hier liegen", sagte eine und warf aus Mitleid ein Tuch über sie. (S. 69)
So auch bei der Szene mit den beiden Gehilfen K.s, die während eines Gesprächs zwischen K. und dem Dorfvorsteher, der krank im Bett liegt (übrigens auch eine Auffälligkeit Kafkas, seine Figuren sind oft kränklich und schwach und erledigen ihre Geschäfte vom Bett aus), einen Aktenschrank komplett auseinandernehmen. Weil sie die am Boden zerstreuten Akten nach der Suche eines bestimmten Aktes nicht wieder in den Schrank zurückbekommen, kippen sie ihn einfach um, stopfen die Papierstapel hinein und setzen sich dann auf die Türen. Höhepunkt, nahezu schon bitterböse Satire, ist jedoch die Aktenverteilung gegen Ende des Buches im Untergeschoss des Herrenhof-Wirtshauses, wo die Sekretäre der Beamten des Schlosses in ihren Zimmern nächtigen und früh morgens von zwei Dienern ihre Akten zugeteilt bekommen. Allein schon der Umstand, dass Anhörungen und Verhöre nachts im Keller eines Wirtshauses abgehalten werden, ist grotesk. Das muss man gelesen haben. Das verliert beim Nacherzählen nur seine Wirkungskraft.
Das Romanfragment "Das Schloss" ist 1922 entstanden, als Kafka sich zur Erholung nach einem gesundheitlichen Zusammenbruch im Gebirge in Tschechien aufgehalten hat, und später in Westbömen. Im Herbst 1922 musste er nach Prag zurückkehren, da seine gesundheitlichen Probleme zunahmen. Das Manuskript zum Schloss musste er schliesslich endgültig unvollendet zur Seite legen. Ein handschriftlich verfasster Schluss existiert nicht, er wurde aber aufgrund persönlicher Schilderungen des Autors von Max Brod, seinem Freund und Nachlassverwalter, rekonstruiert. Meine gelesene Buchausgabe endet mit Nachworten von Max Brod zur ersten, zweiten und dritten Auflage. Ich habe sie gelesen und erhalte zumindest einen Anhaltspunkt über das mögliche Ende des abrupt abbrechenden «Schlosses».