Eskalierender Schluss
Die eskalierenden Geschehnisse im letzten Teil des Buches will ich an dieser Stelle nicht zusammenfassen, um nichts vorwegzunehmen. Heinrich Mann schildert im letzten Viertel des Buches hauptsächlich aus einer allgemeineren Erzählperspektive und dringt nicht mehr allzusehr in die Tiefe seiner Figuren ein. Aber da die Personen mittlerweile gut bekannt sind, wird dies nicht als Mangel empfunden. Interessant zu beobachten ist jedoch der Wechsel der Ausdrucksweise, wenn Mann aus dem Bewusstsein der Künstlerin Fröhlich spricht. Und im Schlusskapitel kommt der Autor zu Lohmann zurück, dem grössten Widersacher Unrats, der eigentlich gar kein Widersacher ist, und mit der Schilderung aus Lohmanns innerstem Empfinden von Leere und Klarheit eilen wir dem Ende der Geschichte entgegen.
Bemitleidenswerte Karrikatur
Für mich ist dieser Klassiker ein Lesegenuss. Nicht nur die Hauptcharaktere, selbst Nebenfiguren wie zum Beispiel der Schuhmacher Rindfleisch, wirken sehr authentisch und originell. Die gehobene, altmodische, vornehme Sprache muss man mögen, sonst macht die Lektüre keinen Spass. Es ist herrlich mit anzusehen, wie Unrat in seinem selbst erschafften Leid ertrinkt. Wie anfänglich sein Zorn ihn vorantreibt, später sein Triebverhalten ihn verführt und "einen alternden Mann alle Grundsätze vergessen lässt", und wie letztlich seine einzige Lebensmotivation die Rachgier ist. Denn alles setzt er daran, gemeinsam mit der Künstlerin Fröhlich Macht über die ganze Stadt zu erlangen. Wir nehmen teil an Unrats Leid, ohne selbst mitleiden zu müssen, in der Rolle des distanzierten Beobachters werden wir Zeuge einer bemitleidenswerten Karrikatur. Das Thema Verführung ist zeitlos und immer aktuell, aber in der Zeit, in der die Geschichte spielt, und in Manns Erzählkunst erhält es einen zusätzlichen Reiz. Eine bizarre, etwas ausserordentliche Liebesgeschichte vielleicht.