Roman
Brendow Verlag, 299 Seiten
S. Fischer Verlag, 318 Seiten
Ersterscheinung 2004
John Ames ist sechsundsiebzig Jahre alt und spürt, dass er bald sterben wird. Er möchte seinem sechsjährigen Sohn nicht fremd bleiben und ihm das, was ihm im Leben wichtig erscheint, in Form eines langen Briefes mit auf den Weg geben. Ames ist ein zweifelnder, selbstkritischer Mensch und ein Denker, was seine Berufung als Pfarrer mit sich bringt, aber stets auch Sinnkrisen in ihm ausgelöst hat. Schon sein Vater und Grossvater waren Prediger - aus dieser ihn prägenden Familientradition heraus entfaltet sich sein Leben und gewinnt er seine Erkenntnisse, die sich immer wieder auf die heilige Schrift beziehen, die er aber auch kritisch hinterfragt. Selbst mit Feuerbach, einem deutschen Philosophen und scharfen Glaubens- und Religionskritiker, setzt er sich auseinander. All seine Predigten hat er Wort für Wort aufgeschrieben und diese auf dem Dachboden in Schachteln aufgehoben - Predigten, die sein Leben widerspiegeln.
So nimmt Marilynne Robinson den Leser mit auf eine Lebensreise durch die Gedanken, Erinnerungen und Erlebnisse ihres Protagonisten. Wir erhalten Einblick in seine Ängste, beschäftigen uns mit seinen Zweifeln und dürfen ebenso an den kleinen Wundern teilhaben, die Ames in alltäglichen kleinen Dingen schätzen lernt. Wir erfahren einiges über Ames Vater, mit dem er, als er zwölf war, einen Fussmarsch durch die Prärie nach Kansas unternahm, um das Grab seines Grossvaters aufzusuchen; über den exzentrischen und einäugigen Grossvater selbst, der aktiv im Bürgerkrieg mitgewirkt hatte; über Ames ungläubigen Bruder Edward; über seine Einsamkeit nach dem Tod seiner ersten Frau; über den alten Boughton, Ames bester Freund, der Pfarrer bei den Presbyterianern ist und mit dem er sich ein Leben lang ausgetauscht hat; und schliesslich auch über Jack, den verlorenen Sohn des alten Boughton, der nach langer Zeit nach Gilead zurückkehrt und dem Erzähler Sorgen bereitet, da er ein Taugenichts ist und in der Vergangenheit grosse Schande über die Familie gebracht hat. Von Jack ist viel die Rede, da Ames viel daran liegt, seinen Sohn und seine Frau vor Jacks vermeintlich schlechtem Einfluss zu warnen.
John Ames wird als Mensch mit sehr wachem Bewusstsein dargestellt. Und da es sich um eine erfundene Person aus der Feder von Marilynne Robinson handelt, schreibe ich der Autorin dieses Eigenschaft zu. Jemand, der sich mit dem Grossen und Ganzen nicht verbunden fühlt, kann keinen solchen Roman verfassen. Ich habe nichts über die Autorin nachgeschlagen, mir ist dieses Buch Zeugnis genug, um Marilynne Robinson als Autorin bewundern zu können. Mit drei weiteren Romanen hat sie die Welt in und um Gilead weitergesponnen und mit der Lebensgeschichte dreier Personen ergänzt. Das Buch "Lila" handelt von John Ames zweiter Frau Lila, "Zuhause" erzählt von Glory, der Tochter des alten Boughton, die nach Hause kommt, um ihren sterbenden Vater zu pflegen, und in "Jack" wird die Geschichte über das Leben des erwähnten verlorenen Sohnes Jack beschrieben. Es besteht kein Zweifel darüber, dass ich mir diese Werke noch besorgen werde.