Rezension vom August 2024
Märchen-Roman
Erste Buchausgabe 1973
Gelesene Ausgabe: Thienemann Verlag
Auflage 1995
271 Seiten
Tiefgründige Botschaft
Momo ist das erste Werk aus dem Bereich Jugendbücher, das ich hier auf bookstories vorstelle. Es ist auch das erste Jugendbuch, das ich seit meiner eigenen Jugendzeit, die nun schon bald ein halbes Jahrhundert zurückliegt, gelesen habe. Wie bei den meisten meiner ausgewählten Bücher entscheide ich mich intuitiv für die Lektüre. Obwohl das Buch schon seit vielen Jahren auf meiner Leseliste steht, schien jetzt der richtige Zeitpunkt dafür. Ich bin kein Anhänger von Jugend- oder Kinderbüchern. Harry Potters Zauberwelt, mit Ausnahme der Filme, konnte mich bisher nicht locken, und auch andere Werke aus der Welt der Magier, Drachen und Fabelwesen nicht. Was nicht bedeutet, dass ich Jugendbücher mit der Welt der Fantastik gleichsetze. Es gibt hervorragende Fantasy-Literatur für Erwachsene, und ebenso gute Jugendbücher mit realen Inhalten. Doch weiss heisst real? So unrealistisch ist das Märchen "Momo" gar nicht. Im Gegenteil. Momos Geschichte transportiert eine sehr wichtige Botschaft, die heute aktueller ist denn je, und für die ich damals vor fünfzig Jahren, als das Buch auf den Markt kam, gewiss nicht bereit gewesen wäre.
Spirituelle Ansätze
Michael Ende gliedert die Geschichte in drei Teile, die er auch betitelt. Am Ende des Buches finden wir ein Inhaltsverzeichnis mit den einundzwanzig Kapiteln, die ebenfalls entsprechend ihren inhaltlichen Schwerpunkten Überschriften tragen. Im ersten Teil werden Momo und ihre Freunde eingeführt. Neben Momo selbst, deren Äusseres als ein wenig seltsam und ungepflegt beschrieben wird, die in den Ruinen eines alten Amphitheaters vor der Stadt haust, und deren vorzügliche Eigenschaft ein auf ihre Zuhörer nahezu magisch wirkendes Zuhören ist, können durch die Verkörperung von Beppo, dem alten und weisen Strassenkehrer, fast schon spirituelle Ansätze erkannt werden. Beppo geht alles viel langsamer und achtsamer von der Hand. Wenn er etwas gefragt wird, lässt er sich für seine besonnene Antwort viel Zeit, und Momo verrät er, dass man beim Kehren der Strasse niemals die gesamte Strasse vor Augen haben darf, weil man dann nämlich niemals ein Ende sieht, sondern dass jeder Besenstrich bewusst geführt werden soll, immer nur der nächste Strich. Schritt, atmen, Besenstrich – Schritt, atmen, Besenstrich. Das kommt schon einem meditativen Tun gleich. Was für ein bewusstes Erleben des Moments.
Meister Hora und die Stundenblumen
Wie das Böse dann doch besiegt werden kann, erfährt Momo im dritten Teil des Buches. Denn die Schildkröte namens Kassiopeia, übrigens auch ein wunderbares Symbol für Zeit und Langsamkeit, führt das Mädchen zu Secundus Minutius Hora, dem Meister der Zeit, demjenigen, der jedem Menschen seine Zeit zuteilt, dessen Bedeutung wohl dem Göttlichen zukommt, dem Leben, der universellen Kraft und Liebe. Hora, der manchmal alt und dann wieder jung aussieht, offenbart Momo, wie das Sternenpendel der Zeit funktioniert, wie die Stundenblumen entstehen und wieder vergehen, analog der Lebenszeit jedes einzelnen Lebewesens. Jene Stundenblumen, welche die grauen Herren den Menschen aus ihren Herzen stehlen und daraus Zigarren machen. Dieses Aufblühen und Verwelken, dieses mystische Geschehen darf Momo in der goldenen Sternenkuppel an der Niemals-Gasse im Niemand-Haus von Meister Hora bewundern, wobei in ihr die sphärischen Klänge und Stimmen des Universums bleibend erklingen. Es gilt nun, durch einen ausgeklügelten Plan, den Meister Hora Momo verrät, den grauen Herren, die das Niemand-Haus bereits belagern und mit ihrem Zigarrenrauch die Zeit vergiften, die Meister Hora den Menschen aussendet, den Kampf anzusagen.