Novelle
Erste Buchausgabe 1943
Gelesene Ausgabe: S. Fischer Verlag
109 Seiten
7. Auflage 1986
Rezension vom November 2023
In "Schachnovelle" liegt der Fokus auf drei Schauplätzen: in der Gegenwart beim Ich-Erzähler, in einer zwanzigseitigen Schilderung über den Hauptprotagonisten Czentovic aus der Sicht des Ich-Erzählers, und in einer fast fünzigseitigen, persönlichen Rückschau des zweiten Hauptprotagonisten, Dr. B.. Und alles wird vom Autor gekonnt in das Hauptgeschehen eingeflochten.
Auf einem Passagierschiff auf der Reise von New York nach Buenos Aires zur Zeit des zweiten Weltkrieges begegnet der Erzähler, selbst passionierter Schachspieler, dem Schachweltmeister Mirko Czentovic. Und da ihn "monomanische, in eine einzige Idee verschossene Menschen zeitlebens aufreizen", will er diesen Mann kennenlernen. Eine kleine Gruppe Schachinteressierter, die der namenlose Ich-Erzähler um sich formieren kann, und für die der reiche Geschäftsmann McConnor stellvertretend spielen soll, kann den Weltmeister zu einer Partie Schach bewegen, in der McConnor in vierundzwanzig Zügen unterliegt. Bei der Revanche mischt sich plötzlich ein unbekannter Zuschauer ein, der McConnor über die Schulter Ratschläge erteilt, aufgrund derer ein Remie erzielt werden kann. Czentovic will dies nicht auf sich beruhen lassen. Er schlägt für den Folgetag eine Revanchepartie vor. Als Gegner möchte man den Fremden gewinnen, der nach besagter Schachpartie verwirrt den Saal verlassen hat. Der Ich-Erzähler findet ihn auf dem Promenadendeck in einem Liegestuhl wieder, wo ein Gespräch zustande kommt und Dr. B., so der Name des Unbekannten, von sich zu erzählen beginnt.
Stefan Zweig veranschaulicht auf eindrückliche Weise, wie nahe Genialität und Wahnsinn beisammen liegen und zu welchen Leistungen das menschliche Gehirn fähig ist. Auch treffen zwei Charaktere aufeinander, die unterschiedlicher nicht sein können. Dem intellektuellen, von der Isolationshaft gebrochenen Aristokraten Dr. B., der noch nie vor einem realen Schachbrett gesessen hat und rein visuelle Leistungen vollbringt, steht Czentovic gegenüber, ungebildeter Bauernsohn eines Donauschiffers, der keine Blindpartien spielen kann und nur durch den Blick aufs Brett reüsiert. Als Junge lernt Czentovic das Spiel durch Zuschauen der nachmittäglichen Partien zwischen dem Gendarmeriewachtmeister und dem Dorfpfarrer, bei dem er nach dem Tod seines Vaters unterkommt. Durch unermüdliches Training entwickelt er sich zum Fachidioten und Weltmeister, sein Erfolg steigt ihm in den sonst leeren Kopf, was ihn zu einem eitlen und habgierigen Menschen macht.
Das Büchlein des S. Fischer Verlags schliesst mit einem Nachwort von Siegfried Unseld, dem Verleger, der fünfzig Jahre lang den Suhrkamp Verlag geführt hat. Wer einen klaren Umriss, eine profunde Zusammenfassung der Novelle, einige Deutungen der Beweggründe Stefan Zweigs und ein paar Fakten zum Autor erfahren möchte, kann sich dieses Nachwort noch zu Gemüte führen. Wer dies nicht tut, hat auch nichts verpasst.