Rezension vom August 2023
Roman
Erste Buchausgabe 1968
Gelesene Ausgabe: Unionsverlag
3. Auflage 1991
369 Seiten
Keine echten Menschen
Bereits mit dieser Begebenheit, indem ein Kamerad und Freund einfach zurückgelassen und seinem Schicksal überlassen wird, möchte der Autor auf eine Wesensart der zivilisierten Welt hindeuten, die den Tschuktschen fremd ist. 'Weisse', wie sie bei ihnen genannt werden, sind keine echten Menschen. Und auch in der zweiten Hälfte des Buches, wo Handelsgüter und Technik vermehrt auf das Jagdverhalten und den Alltag der Tschuktschen Einfluss nehmen, arbeitet Rytchëu immer wieder scharf die Gegensätze zwischen der zivilisierten Welt und dem Naturvolk heraus, ohne die Werte seines Volkes in ein besseres Licht rücken zu wollen. Ihm geht es nicht darum, anzuklagen, sondern um die Lebensweise dieser Menschen näherzubringen - ihre Denkweise, Sitten und Bräuche, ihren Legendenkreis, der auf der archaischsten Form des Schamanismus beruht.
Aus einem Winter wird ein ganzes Leben
John MacLennan, in Ontario beheimatet, muss den harten Winter mit den Tschuktschen verbringen. Er findet Unterkunft in der Jaranga von Toko und Pylmau mit ihrem kleinen Sohn Jako. Nach anfänglichen Schwierigkeiten, nicht nur ohne Hände, auch mit den Gepflogenheiten seiner neuen Mitmenschen zurechtzukommen, gelingt John immer mehr, sich der Lebensweise der Tschuktschen anzupassen. Er lernt ihre Sprache, lernt ohne den Gebrauch von Fingern zu jagen und wie die anderen in der rauhen, eiskalten Wildnis zu überleben – und kommt nach anfänglichen Schwierigkeiten bald zum Entschluss, nicht mehr in die Zivilisation zurückkehren zu wollen.
Ein wahrer Mensch
Dann geschieht ein tragischer Zwischenfall: sein Freund und Gastgeber Toko kommt beim Jagen im Packeis ums Leben, wofür John sich die Schuld gibt. Zuhause wäre er verurteilt und ausgegrenzt worden, die Tschuktschen hingegen tragen ihm nach einer schamanistischen Befragung des Toten im Beisein der Götter keine Schuld auf, sondern Verantwortung, indem er von nun an für Tokos Familie aufkommen darf. Dass er Pylmau sogar zu seiner Frau nehmen kann, fällt John nicht schwer, da er schon vorher Gefühle für sie entwickelt hat. So gewinnt John nicht nur eine neue Familie, sondern auch eine neue Lebensweise. Bewusste, aufrichtige Werte im Leben verändern ihn und machen einen neuen Menschen aus ihm, einen wahren Menschen, wie die Tschuktschen über sich selbst sagen.